Die Sprache der Bäume
Ein Lied („Der erste Morgen der Welt“) der 62-jährigen britischen Komponistin Rachel Portman über die Sprache der Bäume und die Grammatik der Erde schloss sich direkt an. Wie sehr sich die Instrumentierung (Klarinette!) an Gustav Mahler orientierte, merkte man spätestens, als ebenso nahtlos dessen Rückert-Lied „Ich atmet‘ einen linden Duft“ folgte. Noch ein Stück weiter, bei einer Sinfonia des Barockmeisters Marco Uccellini (zu deutsch: Markus Vögelchen), ging den Hörern auf, wie klug „ökologische“ Klänge und Themen zusammengestellt waren.
Auf den ersten Blick sah dieses Konzeptprogramm zwar eher nach Gemüsegarten aus als nach dem Paradiesgarten Eden aus der Bibel. Doch im Verlauf von pausenlosen 100 Minuten fügten sich eine frühbarocke Frühlingsarie von Biagio Marini, ein spätromantisches Lied Aaron Coplands über Mutter Natur, durch die freche Eichhörnchen hüpfen, und eine Sonata Giovanni Valentinis voll wehmütiger Echos zu einem herrlichen Spaziergang ins Grüne.
Joyce DiDonato ist Theatralikerin durch und durch. So hatte sie sich von Regisseurin Marie Lambert-Le Bihan, Lichtdesigner John Torres und Tänzer Manuel Palazzo eine stimmungsvolle Inszenierung einrichten lassen. Aus fünf gebogenen Elementen, die in der Hand der Sängerin mal an Walrippen, Krummsäbel, Sensenklingen, Ruder oder Amors Bogen erinnerten, steckte DiDonato allmählich einen großen Hula-Hoop-Reifen zusammen, der sich dann auf der Bühne um sie drehte. Ein noch größerer Ring kreiste außen ums Podium. Leicht von Nebel umwabert und geheimnisvoll beleuchtet, ergaben sich eindringliche Bilder.
Über denen man die musikalischen Leistungen indes nicht überhörte. Diese Sängerin hat fantastische dynamische Nuancen auf der Palette. Hinreißend, wie sie in Georg Friedrich Händels Oratorium „Theodora“ einen Ton regelrecht im Nichts verschimmern ließ, in Josef Myliveceks „Adam und Eva“ aber so gebieterisch wie beweglich aufdrehte – in der furiosen Arie des Gerichtsengels kam die altbekannte Drama-Queen wieder zum Vorschein.
Die behutsame Öko-Queen
Ansonsten pflegte DiDonato, nun ganz Öko-Queen, gern behutsamere Töne: die Arien aus Cavallis „La Calisto“ und Glucks „Ezio“ sowie Mahlers Lied „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ wurden zu zentralen Momenten. Il Pomo d‘oro unter Cembalist Maxim Emelyanychev musizierte auch außerhalb des gewohnten Barockrepertoires überaus trittsicher.
Um ihr Anliegen zu unterstreichen, hielt die vom Publikum stehend gefeierte Sängerin zuletzt eine kleine Ansprache und holte für die Zugabe die Klasse 6d des Alten Gymnasiums Bremen auf die Bühne. Das Lied „Samen der Hoffnung“, das Schüler des Canterbury Choir als Plädoyer zur Bewahrung der Schöpfung komponiert haben, bereitete den Boden für Händels „Ombra mai fu“. Das berühmte „Largo“ ist ja gleichfalls ein Liebeslied an die Natur. Adressat ist ein Baum, eine Platane.
Sebastian Loskant (Weser-Kurier) ... 12.06.2023