Altes Gymnasium Bremen

Satiriker auf altrömische Art

Vor rund 250 Schülern der neunten und zehnten Lateinklassen des Alten Gymnasiums (AG) und des  Ökumenischen Gymnasiums stellte er in einem Vortrag im AG den römischen Dichter Marcus Valerius Martial (etwa 40-102 nach Christus) vor. Der stammte aus kleinen Verhältnissen und war, wollte er finanziell über die  Runden kommen, auf reiche Gönner angewiesen.

Veralberte er seine Gönner , fiel Martial in Ungnade, verfasste er  Lobeshymnen auf sie, gab es vielleicht ein hübsches Landgut und Sklaven. Machte er sich über einen Promi  lustig, jubelten ihm dessen Feinde zu, griff er die Feinde an, belohnte ihn der Promi – ein Leben auf dem Drahtseil  öffentlicher Gunst ohne gesetzlichen Rückhalt, ohne öffentlich-rechtliche Verträge. Wie viel Interesse und  Verständnis hat die junge Smartphone- und Internetgeneration von heute für einen Dichter der spätrömischen Dekadenz? Das wollten die Altphilologen des Alten Gymnasiums an der Kleinen Helle testen. Und den  Jugendlichen zeigen, dass es noch etwas anderes gibt als Banalitäten auf Instagram und Facebook.

Lehrerin  Imke Tschöpe hatte den gebürtigen Hannoveraner Klaus Bartels, der viele Jahre an Züricher Kantonsschulen  unterrichtet hat, an die Weser geholt. Der Fachmann versetzte sein junges Publikum in einem anspruchsvollen,  aber gut verständlichen Vortrag in die Antike. „Martial – Pfeffer, Salz und Honig. Glanz und Elend eines Dichterlebens“ hatte er seine Ausführungen überschrieben. Rund eineinhalb Stunden folgten ihm die Schüler –  weitgehend aufmerksam.

Es waren die Zeiten der römischen Kaiser Titus, Domitian, Nerva und Trajan, also des  ersten und zweiten Jahrhunderts nach Christi Geburt. Reiche Leute hielten sich arme Schlucker als Lobhudler und  ofnarren. Gelang diesen der soziale Aufstieg, wurden viele ihren ehemaligen Herren ähnlich. Marcus Valerius  Martial nahm sie alle auf die Schippe, teilweise mit deutlichen Worten: „Lug und Trug ist dein Haarschmuck… ein  Machwerk aus Schminke“ oder „Schon ruht dir, Phileros, die siebente Frau auf dem Landgut“. Um sich seiner Gönner zu versichern, verfiel aber auch er in Schmeicheleien: „Ehrfürchtig, kniefällig betet der Elefant dich an“ oder  „Quintilian, du schweifender Jugend vornehmster Lenker“. Klaus Bartels: „Er war ein gefeierter Publikumsliebling,  der von Gönnern abhängig war, ein armseliger Habenichts unter Milliardären.“

Das Verhältnis sei geprägt  gewesen von gegenseitiger Verachtung – auch unter den Dichterkollegen selbst: „Platzt da doch irgendein Quidam  or Neid!“

Martial verfasste seine Gedichte in Form von Epigrammen, kurzen Texten, die zugespitzt einen Menschen, ein Ereignis kritisch beleuchten. Mit rund 1500 derartigen Gedichten, vergleichbar heutigem Rap oder  Poetry Slam, beschrieb er „einen Riesenjahrmarkt menschlicher Eitelkeiten“, so der Referent. Martial war ein  Satiriker seiner Zeit und musste noch nicht unterscheiden zwischen kunstvoll verpackter Kritik und ehrverletzender Schmähung – es war ihm egal. Von Plinius dem Jüngeren, Forscher, Senator und Dokumentarist des  Vesuvausbruchs im Jahr 79 n. Chr., weiß man, dass er es mit seiner Dichtkunst zu einigem Wohlstand gebracht  hatte. Mit etwa 60 Jahren konnte er sich auf sein Landgut in seinem Geburtsort Bilbilis im heutigen Spanien  zurückziehen, wo er laut Plinius auch starb.

Was bei den Jugendlichen hängen geblieben ist, wer nochmal bei  Wikipedia oder sogar in Büchern nachgeschlagen hat, das werden die Lehrkräfte am Alten und am Ökumenischen  ymnasium in diesen Tagen feststellen. Auf Nachfrage, wie ihnen der Vortrag gefallen habe, kam  auf dem Schulflur allgemein die Antwort: „Jaaa, gut, interessant...“ Referent Klaus Bartels, Autor eines  Standardwerks geflügelter lateinischer Sprüche mit dem Titel „Veni, vidi, vici“, ist der Ansicht, dass Latein bei  Gymnasiasten heute durchaus angesagt sei: „Wer Latein lernt, hat zu den Tochtersprachen halb Europas und  ganz Lateinamerikas seinen besonderen Schlüssel. Griechisch und Latein sind die Muttersprachen des geistigen  EEuropa.“ 

Hanni Steiner (Weser-Kurier) ... 12.05.2016

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